Die Geschichte des LPV

Die Anfänge

Mit der Entwicklung der ersten, brauchbaren Dampflok durch den Engländer Georg Stephenson im Jahr 1814 wurde der Startschuss für eine gänzlich neue Transporttechnologie gegeben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich denn auch mit atemberaubender Geschwindigkeit ein Netz von Eisenbahnlinien aus.

Um die Jahrhundertmitte erfasste diese Euphorie auch die Schweiz. Zwar gab es Überlegungen, dass sich der eben erst gegründete Bundesstaat um den Aufbau einer Eisenbahn kümmern sollte. Vorerst setzten sich aber jene Kräfte durch, die einzig die privaten Unternehmer und Geldgeber in der Lage sahen, solche Projekte durchzuführen.

Die Interessen der Kantone aber auch privater Geldgeber führten dann zur Gründung unzähliger Eisenbahngesellschaften, die nicht selten als reine Spekulationsobjekte herhalten mussten. Viele davon gingen bald Konkurs oder mussten mit anderen Bahnen fusionieren, um überleben zu können. Und wie immer, wenn die Interessen des Kapitals allzu sehr dominieren, gehen die Bedürfnisse der ArbeitnemerInnen vergessen.

So waren es im Jahr 1868 die Lokomotivführer, welche sich, als eine der ersten Berufskategorien überhaupt, als «Bezirk 36, Zürich» im „Verein deutscher Lokomotivführer“ gewerkschaftlich organisierten. Nachdem etliche weitere, lokale Vereinigungen von Lokführern entstanden waren, wurde im Jahr 1876 der „Verein schweizerischer Lokomotivführer“ gegründet. Nur ein Jahr später schlossen sich die Lokomotivheizer der Nordostbahn, damals eine der grossen Eisenbahnen in der Schweiz in einem eigenen Verein zusammen. Im Jahr 1889 gründeten die Heizervereine diverser Regionen den „Verein schweizerischer Lokomotivheizer“ VSLH, aus welchem schliesslich der LPV hervorgehen sollte.

Der VSLH etabliert sich

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass die von privaten Geldgebern und lokalen Interessen gesteuerten Privatbahnen nicht in der Lage waren, so zusammenzuarbeiten, dass ein einheitliches, auf die Bedürfnisse des ganzen Landes ausgerichtetes Eisenbahnnetz entstehen konnte. So gewannen jene Kräfte an Einfluss, welche den Betrieb der Eisenbahnen in die Obhut des Bundes geben wollten. Ganz zuvorderst wurden diese Bestrebungen vom 1895 gegründeten VPST (Verband des Personals Schweizerischer Transportanstalten) unterstützt, welchem der VSLH als Befürworter einer umfassenden Zusammenarbeit aller Eisenbahnerorganisationen ebenfalls beitrat. Dass die Bündelung der Interessen der verschiedenen Berufskategorienverbände Sinn machte, verdeutlicht schon der Umstand, dass mit der Gründung der SBB und der damit verbundenen Verstaatlichung fast aller grösserer Privatbahnen die entscheidenden Fragen zu den Anstellungsbedingungen nicht mehr allein von den einzelnen Eisenbahnverwaltungen bestimmt wurden, sondern massgeblich vom Parlament der Eidgenossenschaft. So war es eine Delegation des VPST, in welcher auch ein Vertreter des VSLH mitwirkte, welche mit Kommissionen von National- und Ständerat Verhandlungen über ein Besoldungsgesetz für das Personal der Bundesbahnen geführt hat.

Selbstbewusst vom Heizerverein zum Lokpersonalverband

Die Vereine der Lokheizer und –führer arbeiteten eng zusammen, etwa in dem sie eine gemeinsame Sekretariatsinfrastruktur nutzten. Konsequenterweise wurde eine Verschmelzung beider Vereine ins Auge gefasst, ein entsprechender Antrag 1910 den Delegiertenversammlungen vorgelegt und von diesen angenommen. Ein Referendum und die folgende Urabstimmung unter den Mitgliedern des Lokführer-Vereins ergaben jedoch, dass die Lokführer diesen Zusammenschluss nicht wollten. Mag sein, dass den wohl etwas konservativer denkenden Lokführern der vom VSLH beschlossene Beitritt zum Gewerkschaftsbund nicht behagt hat.
Da viele Heizer auch nach ihrer Beförderung zum Lokführer ihrem Verein die Treue hielten, wuchs die Mitgliederzahl des VSLH stetig. Und ein Jahr nach dem gescheiterten Zusammengehen mit dem Lokführerverein beschlossen die Delegierten des VSLH eine grundlegende Anpassung ihrer Satuten und die Umbenennung in „Schweizerischer Lokomotiv-Personal-Verband“ SLPV.

Der SEV als starkes Dach

In den Jahren des 1. Weltkrieges waren die wirtschaftlichen Bedingungen für die Arbeitnehmenden unter grossem Druck, während wenige Industrielle am Krieg massiv Geld verdienten. Unter anderem auch dieser Umstand führte dazu, dass im November 1918 in der Schweiz der Generalstreik ausgerufen wurde. Der Angst bürgerlicher Politiker, die Schweiz könnte in einer kommunistischen Revolte versinken ist es geschuldet, dass die Armee beauftragt wurde, dem Streik ein Ende zu bereiten. Trauriger Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war der Tod dreier Streikender in Grenchen. Dass der Generalstreik überhaupt als solcher wahrgenommen wurde, war nicht zuletzt den Eisenbahnern zu verdanken. Lag es doch an ihnen, dass der Streik auch auf dem Land, fern der industriellen Zentren zu spüren war.

Es ist sicher unter anderem die Erfahrung aus dem Generalstreik, welche einen neuerlichen Versuch, die Interessen der Eisenbahner in einem gemeinsamen Verband zu bündeln, beflügelten. Im Jahr 1919 wurde der Schweizerische Eisenbahnerverband gegründet, dem bis auf den Verein schweizerischer Lokomotivführer alle Eisenbahnerorganisationen als eigenständige Unterverbände beitraten. Dass der SEV noch heute massgeblich für die Anstellungsbedingungen der Eisenbahner kämpft, mag als Beleg der Richtigkeit jener Bestrebungen gelten. Im Jahre 1933 schliesslich trat auch der Lokführerverein, zu jenem Zeitpunkt auf nicht einmal mehr 300 Mitglieder geschrumpft, dem SEV bei und vereinigte sich mit dem LPV (auf den Zusatz «schweizerischer» wurde verzichtet, da dieser Zusatz ja schon im Namen des Dachverbandes vorkam).

Um soziale Konflikte wie in der Folge des ersten Weltkrieges zu vermeiden, entschloss sich die eidgenössische Politik mit dem Heraufziehen neuerlicher Kriegsgefahr ende der 1930er-Jahre mit den Gewerkschaften die Zusammenarbeit zur Lösung der dringendsten wirtschaftspolitischen Probleme zu suchen. Dass dieser Weg erfolgreich beschritten wurde, zeigt auch die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als Arbeitskämpfe auch bei der Eisenbahn ein kaum gekanntes Ereignis waren. Zudem sorgte der Aufbau des zerstörten Europa für eine kräftige, wirtschaftliche Entwicklung, was die Erfüllung gewerkschaftlicher Forderungen zusätzlich begünstigte. So war es dem LPV möglich, seine Kräfte ungeteilt für spezifische Fragen der Berufsausübung der Lokführenden einzusetzen.

Gegenwart

Machen wir zum Abschluss dieses geschichtlichen Rückblicks auf die Herkunft des LPV einen Zeitsprung in die Gegenwart. Da präsentiert sich uns ein Bild, das in eigentümlicher Weise an die Vergangenheit erinnert: diverse Eisenbahnunternehmungen, die sich um Marktanteile streiten, jeder versucht für sich das grösste Stück des Kuchens zu sichern. Zwar sind die grossen Eisenbahngesellschaften faktisch nach wie vor Staatsbahnen. Aber geführt werden sie zunehmend gemäss der gegenwärtig vorherrschenden, aber keinesfalls neuen, ökonomischen Logik, wonach nicht die Erbringung einer guten Dienstleistung sondern die Befriedigung von Kapitalinteressen im Zentrum aller Bemühungen zu stehen habe. Dass da die Löhne und Anstellungsbedingungen unter Druck kommen, darf niemand überraschen. Umso bedenklicher stimmt es, dass auch Spartengewerkschaften auf einmal wieder eine grössere Anziehungskraft zumal auf Lokführer zu haben scheinen. Es zeugt von wenig Weitsicht zu glauben, die apolitische Verfolgung von Einzelinteressen könne auf lange Sicht erfolgreich gute Lebensverhältnisse sichern. Möglich, dass man sich so kurzfristig Vorteile zu sichern vermag. Die langfristige Perspektive der Geschichte lehrt jedoch etwas anderes…